Wladislaus Zeitlin

Wladislaus Zeitlin wurde am 19. Februar 1907 in Tiflis in Georgien unter dem Namen Vladeslas Zeitline geboren. Wladislaus stammte aus einer jüdischen Familie und war seit Geburt gehörlos.[1] Seine Mutter lehrte ihn in seinem zweiten und dritten Lebensjahr das Sprechen. Daraufhin erhielt er Privatunterricht und mit zehn Jahren bekam er ein eigenes Laboratorium, da er mathematisch, naturwissenschaftlich und technisch begeistert war. Einige Jahre später verließ die Russland, weil seine Mutter schwer erkrankte. In ihrer neuen Heimat Italien erfuhr die Familie, dass es für Wladislaus nur wenig Aussicht auf eine erfolgreiche, berufliche Zukunft gab. Taubstumme konnten damals nur Handwerker werden und es gab somit keine weiteren Möglichkeiten für eine Ausbildung. Die Familie ließ sich aber davon nicht entmutigen und ging im Sommer 1922 nach Deutschland. Dort erhielt Wladislaus für kurze Zeit privaten Unterricht von Studienräten. Wenig später lernte die Familie den Direktor der Israelitischen Taubstummenanstalt, Felix Reich, kennen, der sich sehr für die Ausbildung von Taubstummen einsetzte und versprach Zeitlin zu helfen. Zeitlin hatte zwar gute Russisch-Kenntnisse. Jedoch sprach er nur ansatzweise Französisch und Deutsch, da er diese Sprachen bisher nur aus Büchern kannte. Felix Reich nahm Zeitlin in der Anstalt in der Parkstraße auf und organisierte den Kontakt zum benachbarten Reformrealgymnasium. Die finanziellen Mittel für den Besuch des Reformrelagymnasiums erhielt er durch die Unterstützung von Albert Einstein.[2] Am Reformrealgymnasium erhielt Zeitlin von verschiedenen Lehrern Unterricht in Mathematik, Biologie, Physik, Geschichte, Chemie, Französisch und Englisch und konnte sich dank seines enormen Fleißes schließlich im Mai 1925 zum Abitur anmelden. Nach den schriftlichen Prüfungen bestand er am 24. September 1925 auch die mündliche Prüfungen, die er mehrheitlich mit gut und sehr gut absolvierte. Der Erfolg des gehörlosen Schülers beeindruckte nicht nur seine Lehrer, sondern auch die Schulbehörden. 1927 wurde auf Anregung Felix Reichs an der Staatlichen Taubstummenanstalt in Berlin-Neukölln eine Aufbauklasse für besonders begabte Gehörlose eingerichtet.[3] Zeitlin schrieb sich im Dezember 1925 an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg ein. Dort bestand er 1929 sein Diplom-Vorexamen und absolvierte 1931 seine Prüfung zum Diplom-Ingenieur.[4] Zeitlin war außerdem ein genialer Erfinder, der bereits während seiner Abiturzeit ein Patent für einen elektrischen Fernseher anmeldete. Bis 1933 konnte er noch sieben weitere Patente anmelden und auch wenn sich seine Konstruktion nicht durchsetzen konnte, profitierte er finanziell von seinen Erfindungen.[5] Zeitlin blieb bis 1934 in Berlin, bis ihn die “Machtergreifung” der Nationalsozialisten zur Flucht aus Deutschland zwang. Er lebte anschließend in einem nördlichen Vorort von Paris. Nach der Besetzung von Paris durch die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs wurde Zeitlin 1942 verhaftet. Er wurde zunächst im Vélodrome d’Hiver und in Drancy inhaftiert und anschließend nach Auschwitz deportiert und ermordet. Er starb am 19. Juli 1942 im Alter von 35 Jahren.[6]
Anmerkungen:
[1] Felix Reich (Hg.), Wladislaus Zeitlin, der taubstumme Student, Leipzig 1927, S. 10.
[2] Zeitlin hatte gemeinsam mit Felix Reich Einstein im Jahr 1924 besucht. Dieser stellte ihm ein Empfehlungsschreiben aus, durch dessen Hilfe der Bankier Jacob Goldschmidt die finanziellen Mittel bereitstellte. Vgl. Monika Sonke, Die Israelitische Taubstummen-Anstalt in Berlin-Weissensee. Von der Gründung 1873 bis zur Vernichtung 1942, in: Vera Bendt (u.a.) (Hg.), “Öffne deine Hand für die Stimmen”, Die Geschichte der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weissensee 1873 bis 1942, S. 43-100, hier: S. 58.
[3] Monika Sonke, Die Israelitische Taubstummen-Anstalt in Berlin-Weissensee. Von der Gründung 1873 bis zur Vernichtung 1942, in: Vera Bendt (u.a.) (Hg.), “Öffne deine Hand für die Stimmen”, Die Geschichte der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weissensee 1873 bis 1942, S. 43-100, hier: S. 57.
[4] Monika Sonke, Die Israelitische Taubstummen-Anstalt in Berlin-Weissensee. Von der Gründung 1873 bis zur Vernichtung 1942, in: Vera Bendt (u.a.) (Hg.), “Öffne deine Hand für die Stimmen”, Die Geschichte der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weissensee 1873 bis 1942, S. 43-100, hier: S. 58.
[5] Monika Sonke, Die Israelitische Taubstummen-Anstalt in Berlin-Weissensee. Von der Gründung 1873 bis zur Vernichtung 1942, in: Vera Bendt (u.a.) (Hg.), “Öffne deine Hand für die Stimmen”, Die Geschichte der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weissensee 1873 bis 1942, S. 43-100, hier: S. 59.
[6] Mark Zaurov, The Deaf Gain of Wladislav Zeitlin, Jewish Scientist and Inventor, in: H-Dirksen L. Bauman, Joseph J. Murray (Hg.), Deaf Gain: Raising the Stakes for Human Diversity, Minneapolis 2014, S. 255-268, hier S. 258.